„Darf ich dann gar nichts mehr falsch machen, wenn wir eine Richtlinie haben?“
Diese Frage hat mir ein Kollege gestellt. Und sie bringt ein weitverbreitetes Missverständnis auf den Punkt. Viele denken bei Richtlinien sofort an Kontrolle, Konsequenzen und Fehlervermeidung.
Dabei verkennen sie den eigentlichen Sinn von Regeln. Gerade in dynamischen Feldern wie der KI-Transformation braucht es nicht nur klare Regeln, sondern auch Raum für Abweichungen.
In diesem Artikel geht es darum:
Stell dir ein Fußballspiel vor, bei dem nie ein Foul passiert. Kein Abseits, kein Handspiel. Klingt wie aus dem Lehrbuch. Ist aber kein echtes Spiel.
Fouls gehören zum Spiel: nicht weil sie gut sind, sondern weil sie zeigen, wo die Grenzen liegen. Und sie machen Regeln überhaupt erst sichtbar.
Ohne Regelverstoß keine Debatte über Fairness.
Ohne rote Karte keine Diskussion über Taktik.
Ohne Ausreißer keine Klarheit, was die Regel eigentlich schützt.
Auch Taktiken und Spielentscheidungen entwickeln sich oft an den Rändern des Erlaubten. Ohne diese Reibung verliert das Spiel seinen Charakter. Genau das gilt auch für den Umgang mit Richtlinien in Unternehmen.
Die Redewendung ist kein Freifahrtschein für Chaos. Sie meint etwas anderes: Nur weil es Ausnahmen gibt, heißt das nicht, dass die Regel nutzlos ist - im Gegenteil.
Erst durch eine bewusste Abweichung wird die Regel sichtbar, spürbar, diskutierbar.
Ein Beispiel:
Ein Schild sagt „Parken nur für Anwohner“. Darunter steht: „Gäste dürfen 2 Stunden“.
Diese Ausnahme zeigt, dass es eine klare Regel gibt – aber eben auch die Bereitschaft, sie differenziert anzuwenden. Ohne diese Ergänzung würde die Regel möglicherweise nicht mal auffallen.
Viele Unternehmen entwickeln gerade Richtlinien für den Umgang mit KI. Und oft schleicht sich dabei ein gefährlicher Reflex ein: „Jetzt haben wir eine KI-Richtlinie - bloß keine Abweichung mehr.“
Das Gegenteil sollte der Fall sein. Regeln müssen diskutiert, geprüft und weiterentwickelt werden. Und das geht nur, wenn jemand auch mal dagegen verstößt – bewusst, reflektiert, nachvollziehbar.
Ein Regelverstoß kann ein wichtiges Signal sein. Vielleicht war die Regel zu eng. Oder sie passt nicht auf den aktuellen Kontext. Vielleicht fehlt eine ergänzende Ausnahme.
Gute Governance braucht diese Signale. Sie lebt davon, dass Menschen mitdenken und mitgestalten – nicht nur befolgen.
Regeln geben Orientierung. Aber sie dürfen nicht zum Selbstzweck werden.
Denn sonst passiert, was wir schon beim Fußball gesehen haben:
Ein überregulierter Videobeweis nimmt dem Spiel die Spannung. Jeder wartet auf die Entscheidung aus dem Kontrollraum. Der Spielfluss leidet, das Spielgefühl geht verloren.
Auch in der Unternehmenspraxis wirkt überregulierte KI wie ein VAR, der ständig pfeift. Der Spielfluss stockt. Kreativität geht verloren. Vertrauen schwindet.
Gute Governance dagegen funktioniert wie ein gutes Spielregelwerk:
Es schafft Vertrauen - aber lässt Platz für Dynamik.
Es schützt - aber erlaubt Initiative.
Es sorgt für Fairness - ohne die Spielfreude zu rauben.
Ob auf dem Fußballplatz oder im KI-Projekt: Regeln entfalten ihre Kraft nicht durch strikte Anwendung, sondern durch sinnvolle Auslegung.
Abweichungen sind keine Störung, sondern Teil des Systems. Sie machen sichtbar, wo Regeln greifen, und wo sie nachjustiert werden sollten.
Fehler sind nicht das Ende von Governance, sondern ihr Anfang.
Also:
Keine Angst vor dem Fehler. Denn oft ist gerade der Regelbruch der erste Schritt zur besseren Regel.
📝 Disclaimer:
Bei diesem Artikel hatte ich digitale Unterstützung: KI hat beim Research und beim Formulieren geholfen, die Endredaktion und inhaltliche Verantwortung liegen bei mir als Autor.
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